Ich bin alt. Ich habe schon Musik gemacht, da waren PCs noch so unbrauchbar wie heute ein Kassettenrecorder … ja gut, darüber läßt sich jetzt streiten. Worauf ich eigentlich hinaus wollte ist die Tatsache, dass man Anfang der 90er noch nicht mit einem handelsüblichen Rechner Musik digital aufnehmen konnte. Wir haben uns damals noch mit 4-Spur-Recordern und anderen Hilfsmitteln herumgeschlagen.

4-Spur-Recorder (Quelle: ebay)

Aus diesem Grund weiß ich die heutigen digitalen Audio Workstation so richtig zu schätzen. Die modernen DAWs besitzen mittlerweile all das, was wir uns früher nicht mal ansatzweise leisten konnten: Unbegrenzte Zahl an Spuren, eingebaute Effekte, eingebaute Instrumente, Automation, …

Klar, ich brauche dafür einen einigermaßen schnellen Rechner/Laptop und eventuell noch ein Audio-Interface, damit ich Audio (Gitarre, Bass, Gesang) auch in den Rechner bekomme. Allerdings besitzt heute fast jeder einen Laptop und ein Audio Interface bekommt man für unter 100 Euro. Jetzt bleibt nur noch die Frage nach der Software. Wenn man einen Apple Rechner besitzt, ist diese Frage schnell beantwortet: Man fängt dann wohl erstmal mit Garage Band an. Unter Windows oder Linux kann man auf keine OS-native DAW zurückgreifen. Aber auch hier gibt es kostenlose Alternativen.

Garage Band

Viele Hersteller von „großen“ DAWs, wie Studio One, Ableton Live, Pro Tools, etc… bieten irgendwie abgespeckte kostenlose oder recht günstige Versionen ihrer Pro-Software an, allerdings sind diese entweder wirklich zu eingeschränkt oder auch viel zu kompliziert zu bedienen – zumindest für einen Neuling. Ansonsten gibt es noch günstige oder auch kostenlose Nischenprodukte, die ebenfalls am Anfang recht verwirrend sein können (Renoise, VCV Rack).

Meiner Meinung nach kommen zunächst zwei Programme in die enge Auswahl: Reaper und Waveform Free. Reaper ist nicht komplett kostenlos, man könnte die Software aber schon kostenlos nutzen, wenn einem der Hinweis nicht stört, dass man irgendwann eigentlich knapp 60,- Euro bezahlen müsste – was trotzdem noch echt günstig ist. Allerdings ist Reaper auch recht umfangreich und ein Anfänger wird vielleicht erstmal komplett überfordert sein. Also bleibt nur Tracktion Waveform Free. Eine vollständig kostenlose DAW, ohne Einschränkungen und für Mac, Linux und Windows!

Tracktion Waveform 12 Free

Waveform 12 Free (Quelle: tracktion.com)

Seit einigen Wochen gibt es die Version 12. Und auch wenn es eine Pro-Version gibt, ist die DAW an sich komplett identisch. Die Unterschiede liegen im Detail (Chord-Track, Plugins, Instrumente, …). Allerdings ist es möglich mit der Free-Version ebenfalls professionelle Tracks aufzunehmen, wenn man bedenkt, dass es eben auch noch tonnenweise kostenloser Plugins gibt, die man einfach zusätzlich installieren könnte.

Wenn man sich bei Tracktion registriert hat und Waveform Free heruntergeladen hat, dann empfängt einen die Software mit einem hilfreichen Menü, welches man Schritt für Schritt abarbeitet und somit die Software einrichtet (Audio Hardware, Midi Controller, Plugins, etc…). Wenn man dann ein neues Projekt startet, sieht man zunächst ein leeres Fenster mit mehreren Spuren…

Auf der linken Seite findet man den neuen Browser, der ein wenig an den von Ableton Live erinnert, in der Mitte sind die Spuren (es wird nicht zwischen Audio- und Midi-Spuren unterschieden. Hier gibt es einfach nur Spuren) und rechts sind die einzelnen Mixer der Spuren zu sehen. Hier kann man die Lautstärke anpassen, das Panning einstellen und diverse Plugins hinzufügen. Zusätzlich gibt es aber noch einen „klassischen“ Mixer, den man über das Tastenkürzel M aufrufen kann.

Instrumente und Effekte

Ganz interessant ist vielleicht, mit welchen Instrumenten und Effekten die freie Version von Waveform daher kommt. Seit der Version 12 hat sich hier auch Einiges getan. Waveform Free verfügt im Grunde über drei Instrumente:

  • Den Micro Drum Sampler – eine Drum Machine, der diverse Slots für einzelne Samples bereitstellt. Hier kann man verschiedene Drum- oder Percussion-Sounds importieren und diese dann per Tastatur oder Midi-Controller spielen. Das Instrument ist etwas eingeschränkt, weil man immer nur genau ein Sample per Slot importieren kann (Round Robin bzw. mehrere Velocity-Ebenen sind daher nicht möglich).
  • Den Micro Sampler – ein einfacher Sampler (auch dieser ist etwas eingeschränkt)
  • Den 4OSC Synthesizer – ein einfacher aber vielseitiger Synthesizer mit bis zu 4 Oszillatoren

Mittlerweile gibt es wirklich eine gute Auswahl an Effekten:

  • Diverse EQs und Filter
  • Diverse Reverbs
  • Distortion
  • Phaser
  • Pitch Shifter
  • Limiter
  • Kompressor
  • Gate
  • Chorus
  • Delay
  • Midi Modifier

Daneben gibt es neuerdings auch einige nützliche Tools:

  • Mono Switch
  • Spectrum Analyzer
  • Notizen
  • Freeze-Point
  • Aux Sends und Returns
  • Mid-Side
  • etc…

Und zusätzlich dazu gibt es noch das Plugin Rack. Das ist ein Container, in dem man diverse Plugins hereinziehen kann und diese dann ganz individuell verkabeln kann. Da bieten sich einige Möglichkeiten für das Sound-Design.

Ansonsten verfügt Waveform Free über alle Funktionen, die man heutzutage zum Recorden und Komponieren am Rechner benötigt:

  • Audio Bearbeitung
  • Midi-Bearbeitung (neben Midi-Clips gibt es auch Step Clips, wie bei einer Drum Machine)
  • Automation
  • Time-Stretching

Im Grunde kann man hier absolut nichts falsch machen, da die Software nunmal komplett kostenlos ist. Ich hatte bei älteren Version ein paar Probleme mit der Stabilität der Software. Bei der Version 12 hatte ich bisher keine größeren Probleme (es kann natürlich immer mal sein, dass ein Plugin eines Drittanbieters Probleme macht). Ein Sichern der Arbeit in regelmäßigen Abständen ist allerdings immer eine gute Idee.

Falls man noch mehr Instrumente benötigt (die Auswahl ist etwas mager bei Waveform Free) oder auch Effektplugins, bietet der Freeware Markt heutzutage richtig gute Sachen. Ich denke ich werde in einem kommenden Artikel mal meine Lieblingsplugins vorstellen…