Ende der 80er, als man auf dem Schulhof noch Disketten mit Raubkopien tauschte, war bei einem Stapel neuer Sachen eine Disk mit der Aufschrift Soundtracker dabei. Logischerweise habe ich die Disk damals zuhause einfach mal ins Laufwerk des Amiga 500 eingeschoben und geschaut, was das für eine Software war.
Der Ultimate Soundtracker sah für mich damals zunächst einmal wie ein abgefahrenes Hacker-Tool aus und ich habe dem Programm nicht viel Beachtung geschenkt. Ein Bruder eines Freundes war begeistert und wollte unbedingt eine Kopie der Software haben. Er hat mir dann später in groben Zügen gezeigt, worum es sich hier handelte. Ich habe ein paar Tage damit herumgespielt, aber dem Ganzen dann erstmal keine Beachtung mehr geschenkt.
Das Tool wurde damals entwickelt, um Musik für Computerspiele zu „komponieren“ und war das erste Programm, womit ein Nerd mithilfe seines Home-Computers Musik machen konnte – auch wenn er keine musikalische Ausbildung genossen hat. Die Software hatte allerdings keinen Erfolg im Mainstream, weil die meisten sie für „zu unlogisch“ hielten.
Aber hiermit hatte nunmal jeder Jugendliche mit einem Homecomputer die Möglichkeit kreativ zu sein und nicht den ganzen Tag vor’m Fernseher zu sitzen. Die Produktion von Musik war ansonsten nur großen Recording Studios oder Menschen mit teurem Equipment vorbehalten… Der Underground nutzte Tracker für die Demoscene und es gab viele Programmierer, die diese Urversion verbesserten und verbreiteten.
Irgendwann kam dann der PC und die Hardware wurde immer besser, was auch die Tracker immer leistungsfähiger werden ließ. Allerdings fristeten sie immer ein Schattendasein, besonders als die Mainstream-DAWs, wie Pro Tools, Cubase oder Logic Pro … auf den PCs der meisten Haushalte lauffähig wurden.
Aber es gibt sie immer noch und heute sind sie leistungsfähiger denn je. Es gibt Tracker DAWs mit Support für VST-Effekte, unendlich vielen Spuren und auch die Möglichkeit VST-Instrumente einzubinden. Allerdings entfalten sie auch heute noch ihre ganze Magie, wenn man mit Samples arbeitet…
Renoise
Im Jahre 2002 wurde die erste Version von Renoise veröffentlicht. Diese Tracker DAW war damals eine Weiterentwicklung des NoiseTrekkers. Im Laufe der Jahre wurde die Software immer weiter entwickelt, um mit aktuellen Annehmlichkeiten der Mainstream-DAWs Schritt zu halten: Verfügbarkeit auf allen Systemen (Linux, MacOs, Windows), volle Midi-Unterstützung, VST3-Unterstützung, integrierter Sampler und Sample-Editor, eingebaute DSP-Effekte, Rewire-Unterstützung und ein integrierter Mixer.
Wie bereits erwähnt, winken viele Musiker ab, wenn sie die Oberfläche des Sequenzers sehen und einen Track „programmieren“ müssen. Aber diese Vorgehensweise hat viele Vorteile, die ich hier mal etwas näher beleuchten will.
Zunächst einmal ist Renoise ein mächtiger Sampler mit einem eigenwilligen Sequenzer. Man kann sich das so vorstellen: Wenn ich in einer gängigen DAW arbeite und jede Spur mit einem Sampler belege und meine Musik mit Midi-Clips schreibe … so muss man sich die Vorgehensweise in Renoise vorstellen. Natürlich kann ich auch hier im Sequenzer andere (VST-) Instrumente ansteuern, aber reine Audio Clips gibt es so nicht. Allerdings kann man mit dem Sampler auch direkt aufnehmen, also kann ich auch Gitarren einspielen oder Vocals aufzeichnen und die Aufnahmen dann über den Sampler im Sequenzer ansteuern.
Eine komplette Band kann ich so aber nicht aufzeichnen, weil man einfach nicht mehrere Spuren gleichzeitig aufnehmen kann. Da ist Renoise tatsächlich die komplett falsche Wahl. Aber wer alleine am Rechner komponiert und eventuell hier und da mal echte Instrumente aufzeichnet, der kann durchaus mit Renoise arbeiten.
Die Sequenzer
Ganz links sehe ich den kompletten Song ablaufen … von oben nach unten. Daneben sehe ich die einzelnen Patterns im Song Sequenzer (in einer herkömmlichen DAW wären das die Midi-Clips) auf den verschiedenen Spuren. Hier arrangiere ich den eigentlichen Song. Und rechts ist der Pattern Sequenzer, in dem ich die einzelnen Patterns oder Clips „programmiere“.
Wie man hier sieht – oder auch schon im Song Sequenzer nebenan – gibt es auch hier verschiedene Spuren für verschiedene Instrumente, die jeweils mit verschiedenen Effekten gefüllt werden können. Allerdings werden die einzelnen Instrumente nicht fest in den Spuren festgelegt, wie es in den meisten DAWs der Fall ist.
Die Instrumente finden wir oben rechts im Fenster von Renoise. Ich kann im Grunde jedes Instrument auf jeder Spur spielen … was allerdings nicht viel Sinn macht, wenn man die einzelnen Spuren mit speziellen Effekten für spezielle Instrumente füllt. Wie bereits erwähnt, kann ein Instrument entweder ein Instrument im Sampler sein (von nur einem Sample bis zu einem komplexen Multisample Instrument) oder aber auch ein VST-Plugin.
Das Abgefahrene an Renoise – oder an allen Trackern – ist sicherlich der Pattern Sequenzer, der auf den ersten Blick schon kompliziert aussieht. Man zeichnet seine „Noten“ nicht mit der Maus ein, sondern kann in dem Sequenzer eigentlich komplett mit der Tastatur arbeiten. Ein Noteneintrag besteht aus der eigentlichen Note, der Instrumentennummer, der Lautstärke (Velocity) und diversen Effektbefehlen.
Und genau das macht das „Komponieren“ im Tracker so effektiv, ich kann direkt per Note irgendwelche Effekte programmieren und auch die Automatisierung. Renoise hat mittlerweile auch eine spezielle Automatisierungs-Funktion in Form eines Graphen, aber man kann auch den Old-School-Way in Form von Befehlen nehmen.
Der Sampler
Der Sampler ist das Herzstück von Renoise. Er ist recht mächtig und einfach zu bedienen. Links findet man die einzelnen Samples eines Instruments – dies können entweder mehrere sein oder nur ein einzelnes Sample. Klickt man auf die einzelnen Samples in dieser Liste, findet man die Einstellungen und die Wellenform hierzu.
Der Sample-Editor bietet grundlegende Bearbeitungsmöglichkeiten und unter der Sample-Liste kann man die einzelnen Eigenschaften des Samples bearbeiten. Zusätzlich kann man noch eine Modulations– und Effektkette pro Sample festlegen! 👍🏻
Außerdem kann man für jedes Instrument auch Phrases anlegen. Das sind quasi Patterns im Tracker-Stil, die eine Melodie oder einen Drumbeat festlegen und den man dann im Hauptsequenzer später bequem aufrufen kann. Diese Phrases werden im Presets des Instruments mit abgespeichert. Damit kann man schon kreative Sachen anstellen.
Die Modulationskette bietet allerlei Modulatoren (Envelopes, Stepper, LFOs, diverse Tracker (Velocity, Key)), mit denen man die einzelnen Samples modulieren kann.
Effekte
Renoise kommt mit einer netten Sammlung an Effekten, die man entweder pro Track oder auch pro Sample einsetzen kann. Es gibt hier alles mögliche an coolen Sachen:
- Filter
- Compressoren
- Chorus
- Convolver (allerdings ohne IRs)
- Cabinet Simulator
- Delay
- Distortion
- Flanger
- EQs
- Reverb
- Phaser
- …
Zusätzlich gibt es in der DAW noch sogenannte Meta-Plugins, die man auf Parameter der anderen Effekte anwenden kann. Da hat man dann die Möglichkeit eine mathematische Formel zu nutzen, oder LFOs einzusetzen, Es gibt einen Key- und einen Velocity-Tracker … etc.
Außerdem gibt es noch eine Handvoll Routing-Plugins für Send-Effekte, Sidechaining oder das Einbinden von Line-Inputs.
Was sonst noch? Natürlich gibt es einen Mixer.
… und wie bereits erwähnt, kann man neben Samples auch Plugin-Instrumente einsetzen. Für diese kann man übrigens auch Phrases anlegen.
Ansonsten findet man natürlich einen anständigen Browser für Sample-Instrumente und einzelne Samples. Die Presets und die mitgelieferte Sample-Bibliothek ist recht gut, vor allen Dingen, weil zu vielen Instrumenten auch eine interessante Phrases-Auswahl mitkommt, die schon inspirierend ist.
Fazit
Ich habe jetzt nur ein wenig an der Oberfläche dieser Software gekratzt. Man kann mit dem Sequenzer und verschiedenen Samples so viele kreative Sachen machen, auf die man in herkömmlichen DAWs wahrscheinlich gar nicht gekommen wäre und die dort auch sicherlich komplizierter umzusetzen wären. Vor Kurzem hat Dash Glitch eine kleine Zusammenfassung zu Renoise auf YT veröffentlicht:
Ich habe Renoise 2017 kennen gelernt und seitdem immer mal wieder benutzt. Ich habe bisher keine kompletten Songs in Renoise fertig gebracht, weil ich doch viel echten Krams „recorde“ (Gitarren, Bass, Vocals) und das ist in Renoise halt etwas umständlicher. Aber man kann das sicherlich machen, auch wenn diese Art der Musik nicht das Hauptklientel der DAW ist.
Aber gerade diese Einschränkung macht für mich auch irgendwie den Reiz aus. Renoise ist eine kleine DAW, mit guten Tools, die nunmal einen anderen Ansatz verfolgt und die ich ein wenig mit den 4-Spur-Recordern der 80/90er vergleiche. Auf der einen Seite gab es damals die großen Recording-Studios und auf der anderen Seite die 4-Spur-Recorder zuhause, die mit einfachen Mitteln versucht habe tolle Songs zu recorden.
So ähnlich sehe ich das hier. Auf der einen Seite gibt es die Mainstream-DAWs, die dem Musiker immer mehr Aufgaben abnehmen und auf der anderen Seite gibt es noch die Tracker, die dem Musiker vielleicht etwas mehr Kreativität und Handarbeit abverlangen… Wahrscheinlich bin ich der Einzige, der das so sieht, aber Renoise ist für mich ein cooler Underdog!
Wer vielleicht nicht ganz auf seine konventionelle DAW verzichten kann, der kann Renoise auch als Plugin benutzen. Renoise Redux heißt das Teil und ist ebenfalls recht günstig. Man hat quasi den Sampler plus Phrases in seiner DAW. Es gibt die gleichen Modulationsmöglicheiten, die gleiche Effekte. Ich benutze Redux oft, um interessante Rhythmen zu „programmieren“…
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